Vortrag gehalten in der „Nacht der Religionen“ am 12.11.2011 von Hildi Thalmann (Chang She)
Zunächst zwei Vorbemerkungen:
Die zu besprechenden heissen Eisen entsprechen meiner Auswahl. Am Ende des Vortrages haben Sie Gelegenheit, weitere heisse Eisen anzusprechen.
Es gibt nicht den Buddhismus. Die Spannweite zwischen den einzelnen Richtungen oder Schulen ist etwa gleich gross wie zwischen den verschiedenen Abrahamitischen Religionen. Ich werde z.T. Aspekte ansprechen, die auf alle buddhistischen Richtungen zutreffen, dies v.a., wenn ich mich auf den historischen Buddha und den Pali Kanon, die Aufzeichnungen der buddhistischen Lehre in Pali, beziehe. Sonst werde ich jeweils die angesprochene Tradition benennen. In den neueren Entwicklungen gehe ich vor allem auf die Richtungen des chinesischen Chan und japanischen Zen ein, die mir am besten bekannt sind.
Die buddhistische Praxis ist sehr stark abhängig vom jeweiligen Kontext. Der Buddhismus hat sich verschiedentlich an neue Kulturen adaptiert (v.a. China/Japan und Tibet) und hat sich damit gewandelt. Heute ist dieser Prozess in Bezug auf die Integration in die westliche Kultur im Gange. Es ist eine äusserst spannende Zeit und auch eine Zeit mit vielen „heissen Eisen“.
Meine „heissen Eisen“ sind:
Die Rolle der Frauen / Genderfragen (dies umfasst den grössten Teil meines Referats)
Die neuen Herausforderungen in der globalisierten und konsumorientierten Welt
Engagierter Buddhismus, Humanistischer Buddhismus -- was ist dabei „heiss“?
Der Buddhismus ist nicht so patriarchalisch, wie oft dargestellt wird. Der vom Buddha gegründete Frauenorden war nach den Jainas wohl der zweite überhaupt. Gemäss dem Pali Kanon hat sich der historische Buddha Shakyamuni erst nach 3-maliger Ablehnung der Bitte seiner Ziehmutter Maha-Prajapati zur Gründung bewegen lassen, als Ananda ihn fragte:
„Sind Frauen, die ihr Haus verlassen, fähig zur höchsten Erkenntnis?“
Der Buddha antwortete: „Ja, das sind sie.“
Darauf sagte Ananda: „Wenn dem so ist, dann sollten Frauen auch in den heimatlosen Stand treten können.“
Dass mehr Regeln für die Nonnen als für Mönche geschaffen wurden, war einerseits eine Absicherung der männlichen Dominanz, diente aber andererseits auch dem Schutz der Nonnen und war letztlich dadurch bedingt, dass den schon bestehenden Regeln einfach die spezifischen für Nonnen angefügt wurden. Die spirituelle Entwicklung der Nonnen war dadurch nicht behindert, aber die Lehr-Rollen wurden in einer männerdominierte Kultur für die Männer monopolisiert.
Im frühen Buddhismus gibt es unterschiedliche Einstellungen den Frauen gegenüber: Einschluss der Frauen und Frauenfeindlichkeit, Androzentrismus und Androgynie (körperlich-seelische Mischung beider Geschlechter in einer Person). In der späteren Entwicklung, dem grossen Fahrzeug (Mahāyāna), gibt es unter den Sūtras, den auf Buddha zurückgeführten Schriften, sowohl solche mit negativer Einstellung gegen Frauen wie solche, die Frauen als Bodhisattvas auf einer niedrigeren Stufe anerkennen. Bodhisattvas sind erleuchtete Wesen, die auf den Eingang ins Nirvana verzichten, um zum Wohle aller Lebewesen zu wirken, oder es sind transzendente Wesen. So verwandelt sich im Lotussutra die Naga-Prinzessin in einen Mann, bevor sie Buddha wird. Es gibt auch Sūtras, die Frauen als fortgeschrittene Bodhisattvas und zukünftige Buddhas anerkennen. Hier ist das Konzept von der in allen Wesen vorhandenen Buddhanatur und der Nicht-Dualität wichtig. Interessant ist folgende Darstellung im Vimalakīrti-Sūtra:
Śariputra fragte: „Weshalb tauschst du den weiblichen Körper nicht?“
Das Mädchen Canrottara (die Göttin) antwortete: „Während zwölf Jahren habe ich nach dem Unterscheidungsmerkmal eines weiblichen Menschen gesucht und weiss nun, dass es unerfindlich ist; wozu
sollte man ihn tauschen? Das wäre, als ob ein Illusionist ein Fantasieweib herstellte…“
… Daraufhin machte die Göttin Gebrauch von ihren überweltlichen Kräften und verwandelte Śariputra, so dass er der Göttin glich. Die Göttin aber verwandelte ihren Körper, dass er Śariputra glich,
und fragte ihn: „ Weshalb tauschst du den weiblichen Körper nicht?“ In der Gestalt der Göttin antwortete Śariputra: „Nun weiss ich nicht, wie ich mich austauschen könnte und wie ich mich in einen
weiblichen Körper verwandelte.“ Die Göttin sagte: „Śariputra, wenn du diesen weiblichen Körper tauschen könntest, sollten auch alle weiblichen Menschen den ihren tauschen können. Śariputra ist
nicht weiblich, sondern zeigt sich als weiblicher Körper. So verhält es sich nun mit allen weiblichen Menschen. Obgleich sie sich als weibliche Körper zeigen, sind sie nicht weiblich. Aus diesem
Grund sagte der Buddha: Alle Gegebenheiten sind weder männlich noch weiblich.“
Hier wird Geschlecht einmal als imaginäres, dann als symbolisches Konstrukt verstanden. Das Geschlecht repräsentiert nichts, d.h., weiblich zu sein, bestimmt nicht das Wesen.
Das buddhistische Pantheon ist in der Regel androzentrisch organisiert. Etwas Besonderes ist es, dass man im Tibetischen Buddhismus von Mutter Weisheit und Vater Liebe spricht: Weisheit steht für das analytische und intuitive Denken (Prajnā). Prajňāpāramitā wird die Mutter aller Buddhas genannt. Liebe steht für den emotionalen Bereich. So werden männliche Bodhisattvas oft als mitfühlend, sanft, hingebungsvoll dargestellt. Der Kontrast dieser Zuordnung besteht nicht nur zum westlichen, sondern auch zum indischen Denken.
Bodhisattvas haben auch eine gewisse Ambiguität (Doppeldeutigkeit) oder Flexibilität – so können sie heils-wirksam werden. Sie spielen eine wichtige Rolle als Symbole, welche Frauen befreien. Jedoch ergibt sich ihre Wirkung oft erst im Kontext. So wurde Guanyin, der/die Bodhisattva des unendlichen Mitgefühls, in China ab ca. dem 9. Jh. zunehmend weiblich dargestellt. Ab der Songzeit wurde sie zum Symbol der Befreiung der Frauen (von Heirat, Sex, Unreinheit durch Menstruation und Geburt), und Frauen haben dieses Symbol verbreitet! Später wurde sie domestiziert und z.B. angerufen für männlichen Nachwuchs. In zeitgenössischen Darstellungen steht Guanyin oft für das Coping mit der Dominanz der Männer über Frauen.
Bezüglich der Genderfrage ist es interessant, dass in den buddhistischen Schriften nicht nur sehr bemerkenswerte Ansätze in Bezug auf die Gleichheit der Frau zu finden sind, sondern auch Ansätze, welche ein Überschreiten der Geschlechterdualität ermöglichen.
Historisch hat sich die Stellung der Frauen im Buddhismus immer wieder gewandelt.
Im frühen Buddhismus in Indien waren Frauen traditionellerweise den Männern untergeordnet. Es wurden aber auch Frauen beschrieben, die Arhats (Vollkommene) wurden. Auch unberührbare Frauen konnten Buddhistinnen werden. Einzelne buddhistische Schriften beeinflussten die Stellung der Frauen erheblich.
Besonders gut sieht man die Abhängigkeit der Rolle der Frauen vom politischen und kulturellen Umfeld im chinesischen Buddhismus. Vielleicht kann allgemein gesagt werden, dass sie eine wesentliche Rolle spielten in Umbruchzeiten und solange der Buddhismus sich von den Machtzentren fernhielt. Bereits um 500 gibt es Lebensbeschreibungen von gebildeten und eloquenten Nonnen aus hochgestellten Familien. In der Anfangszeit von Chan war eine Nonne unter den vier Hauptschülern von Bodhidharma, dem ersten Patriarchen. Es gibt aufgezeichnete Geschichten meist namenloser und bejahrter Frauen, die mit ihren Fragen die Mönche verwirrten. Die eisenschleifende Liu „schleift“ die Illusionen aller, die sich mit ihr ins Streitgespräch begeben. Von einer Nonne, Moshan Liaoran (9.Jh.), wird die Begegnung mit einem Chan-Mönch als Musterbeispiel einer Chan-Debatte zitiert. Der Mönch anerkannte ihre überlegende Weisheit und arbeitet 3 Jahre als ihr Gärtner.
Und doch muss gesagt werden, dass in den berühmten Koan-Sammlungen, den aufgezeichneten Geschichten vom Erwachen aus den Anfangszeiten des Chan, von 148 Koans in der Rinzai-Schule nur 4 von Frauen handeln. Und die Übertragungslinie blieb männlich.
Wirklich eine eigene Stimme erhielten Frauen erstmals in der Songzeit (960-1279). Sie waren Lehrerinnen und Äbtissinnen, hielten Vorträge, und ihre Aktivitäten und Gedichte wurden aufgezeichnet. Es gab erste „offizielle“ weibliche Dharma-Nachfolgerinnen (5 Frauen unter total 54) von Dahui Zonggao (1089-1163).
Darauf folgte eine Periode etablierter staatlicher, konfuzianischer Ordnung ohne prominente Frauen.
Erneut zu einem deutlicheren In-Erscheinung-Treten der Frauen kam es erst wieder im 17. Jh. dem Übergang von der Ming- (1348-1644) zur Qing-Zeit (1644-1911): Die Chan-Meisterinnen des 17. Jh. wurden berühmt durch ihre Dharma-Vorträge und Gespräche mit konfuzianischen Gelehrten. Sie waren geschickte Leiterinnen der Klöster, konnten Gelder von Laien generieren und verstanden es, Netzwerke aufzubauen. Ihre Biographien sind erhalten, und sie bildeten eine eigene weibliche Übertragungslinie.
Als sich Ende des 17. Jahrhunderts wieder eine neue Ordnung etabliert hatte, erfolgte die Restauration des Konfuzianismus. Frauen, auch gebildete, waren nun wieder stärker ans Haus gebunden. Sie konnten auch nicht mehr literarisch aktiv sein. Sie kehrten hinter ihre Grenzen zurück und zu den „Geschichten, die Männer gerne erzählen“ (Zitat).
Heute lehren im Westen in der Chan- und Zen-Tradition ebenso viele Frauen wie Männer. Eine erste Generation von Frauen studierte Zen mit japanischen Lehrern: Am bekanntesten ist Charlotte Joko Beck. Diese Frauen haben Rituale und Zeremonien teilweise beibehalten und westliche Psychologie und andere Formen buddhistischer Meditation integriert. Später haben andere Frauen sich stärker von den „Patriarchalischen Linien“ abgesetzt. Heute gestalten Frauen oft Zeremonien und das Zen- Training neu: andere Sitzformen, weibliche Vorbilder, egalitärer, Zugeben von Unvollkommenheiten etc. Auch wurde eine inoffizielle weibliche Dharma-Linie als wichtig erachtet: Sie beginnt mit Mahaprajapati, führt dann die im Pali Kanon erwähnten verwirklichten Frauen in Indien auf sowie die oben erwähnten chinesischen Meisterinnen und japanische Zen-Lehrerinnen. Es geht darum, die weibliche Vergangenheit neu zu imaginieren, als Frauen, denen lange der Zugang zur Geschichte verweigert wurde. Meister Sheng Yen hat in der chinesischen Chan-Linie, der ich angehöre, neben acht Mönchen vier Nonnen zu Dharma-Nachfolgerinnen bestimmt, ausserdem fünf westliche Männer.
In der Theravāda-Tradition gelangte vor allem die Richtung der Vipassanā-Meditation in den Westen und wird hier auch von Frauen gelehrt.
Im tibetischen Buddhismus möchte ich auf Sylvia Wetzel als äusserst erfolgreiche Lehrerin hinweisen, die in der Tara-Meditation stark die weibliche Seite betont.
Es muss aber auch erwähnt werden, dass in Asien noch kaum nicht als Nonnen ordinierte Frauen als Lehrerinnen tätig sind und auch noch nicht viele Nonnen.
Grosse Veränderungen sind in den letzten 30 Jahren erfolgt, z.B. seit 1987 Sakyadhita, das Netzwerk der buddhistischen Frauen, geschaffen wurde. Und vieles bleibt noch zu tun.
Ich werde hier auf die Themen Vermarktung, Crash der Kulturen, Wandel in der Auslegung und Praxis im asiatischen Buddhismus und im Westen eingehen.
Auch die Religionen werden zunehmend vermarktet und stehen untereinander in Konkurrenz. Das war wohl immer so, doch ist mit den modernen Massenmedien die „Vermarktung“ sehr viel stärker ausgeprägt, allgemeiner zugänglich und auch teilweise aggressiver geworden. Es besteht die Gefahr der Verflachung und eines Konsumverhaltens auch in Religion und Spiritualität, mit wiederholtem Wechsel zwischen verschiedenen Angeboten, sobald auf dem eigenen Weg Schwierigkeiten auftreten. Chögyam Trungpa hat dies in seinem Buch „Spiritueller Materialismus“ ausgezeichnet beschrieben.
In wahrscheinlich allen buddhistischen Richtungen treffen im Westen asiatische Immigrations-Buddhisten auf westliche Konvertiten. Verschiedene Sichtweisen und Interessen stossen aufeinander. Bei Migrantinnen stehen oft eher der „Verehrungsaspekt“ und Verdiensterwerb durch Spenden und durch gute Werke im Vordergrund. Westliche Menschen sind dagegen stärker daran interessiert, den eigenen inneren Weg, z.B. in der Meditation, zu finden. Diese Aufspaltung in unterschiedliche Interessensgruppen innerhalb einzelner Schulen und ihren vielen religiösen und nationalen Untergruppen kann manchmal grosse Probleme hervorrufen.
In gewissen asiatischen buddhistischen Richtungen kann auch beobachtet werden, dass eine Trennlinie ebenfalls innerhalb gewisser asiatischer buddhistischer Gemeinschaften besteht. Dies ist auf Reformbewegungen zurückzuführen, die vom chinesischen Buddhismus und vom Buddhismus im südostasiatischen Raum ausgingen. Man kann beobachten, dass weiterhin eine sogenannte „traditionelle“ Richtung besteht (wahrscheinlich die Mehrheit) und daneben eine reformierte Richtung, der Humanistische Buddhismus, der ebenfalls stark den persönlichen Weg und die Meditation betont, Letztere auch in den Formen, die bei uns weniger bekannt sind, wie Anrufung des Buddha-Namens und Niederwerfungen. Ich werde auf den humanistischen Buddhismus im 3. Teil noch zu sprechen kommen.
Ein Wandel ist auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den asiatischen Ländern zu beobachten. In einigen Ländern des Mahayana-Buddhismus ist der wirtschaftliche Aufschwung früher als in andern aufgetreten. Nach der Modernisierung hat vor allem die gebildete Bevölkerung sich säkularisiert, ist z.T. christlich geworden oder hat sich dem Humanistischen Buddhismus angeschlossen. In den Theravada-Buddhistischen Ländern Südostasiens ist die wirtschaftliche Entwicklung noch etwas weniger weit fortgeschritten. Hier werden weitgehend noch traditionelle Religionsformen praktiziert. In einigen dieser Länder herrscht heute politische Zerrüttung, Korruption etc. Und leider kommt von der Mönchsgemeinde keine Antwort auf diese Probleme. Es ist zu erwarten, dass die wirtschaftliche Entwicklung auch zu ähnlichen Veränderungen der Säkularisierung etc. führen wird.
Besonders gute Bedingungen für einen notwendigen Strukturwandel bieten sich in westlichen Ländern, die nicht traditionell buddhistisch sind. Im Westen können und sollten die Strukturen der monastischen buddhistischen Tradition nicht unverändert übernommen werden. Vieles ist in Entwicklung. Die Möglichkeiten zur Erneuerung sind gross: Übernommen werden soll der zeitlose Dharma, nicht zeitgebundene Formen.
Die Grundlagen des Engagierten Buddhismus und des Humanistischen Buddhismus sind die meditative und philosophische Einsicht in die Wirklichkeit und das daraus entstehende grosse Mitgefühl mit allen leidenden Wesen. Alle Phänomene werden als wechselseitig miteinander verbunden angesehen. Es gibt kein von den anderen getrenntes „Ich“.
Der „Engagierte Buddhismus“ ist die Bemühung, zur Verwirklichung einer globalen, gewaltfreien und solidarischen „Kultur der Achtsamkeit“ beizutragen.
Der „Humanistische Buddhismus“ richtet die Achtsamkeit darauf, die buddhistischen Richtlinien in allen Tätigkeiten des gegenwärtigen Alltags einzuhalten, und auf humanitäre Aktivitäten sowie auf die Verbindung der Wissenschaft mit dem alltäglichen Leben.
Der Engagierter Buddhismus und der Humanistischer Buddhismus haben 5 Charakteristika:
Beide Bewegungen gehen auf die Reform im chinesischen Buddhismus Ende 19. bis Mitte 20. Jahrhundert zurück. Der grosse „Reformator“ war der chinesische Mönch Taixu (1890-1947). Er schuf den Begriff des Humanistischen Buddhismus. Seine Ideen wurden auch in Vietnam aufgenommen und führten dort zur Modernisierung der Mönchs- und Nonnengemeinde und zu einer Veränderung des öffentlichen Bewusstseins sowie zu einer nationalen buddhistischen Vereinigung und zum Widerstand gegen das repressive Regime (Selbst-Verbrennung eines Mönchs 1963). Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Thich Nath Hanh, der den Begriff des Engagierten Buddhismus bei seiner Emigration in den Westen brachte. So wird seit den 1970er-Jahren der Begriff Engagierter Buddhismus von asiatischen und westlichen Buddhisten gebraucht. Internationale Netzwerke wie das Netzwerk Engagierter Buddhisten (INEB) oder die Buddhist Peace Fellowship etc. wollen eine weltweite Bewegung von buddhistischem Engagement auslösen.
Was ist dabei „heiss“? Ein zentraler buddhistischer Begriff ist ahimsa / Nicht-Verletzen, Gewaltlosigkeit, auch im Sinne einer umfassenden Liebe: Aber wo fängt Gewalt an? Gibt es nicht auch verbale Gewalt? Sich wehren für eine Sache oder gegen Ungerechtigkeit birgt in sich die grosse Gefahr, selber aggressive Methoden anzuwenden, vom „Gegner“ angesteckt zu werden. Vor allem eine jüngere Generation ist oft nicht mehr bereit zur Gewaltlosigkeit (siehe tibetischer Widerstand, der sich nicht mehr immer an die Aufrufe des Dalai Lama zur Gewaltlosigkeit hält).
Es stellt sich somit die Frage, wieweit man sich politisch einmischen darf – soll – muss. Die buddhistische Praxis ist primär ein Heilsweg des Einzelnen. In den Bodhisattva-Gelübden beinhaltet er jedoch auch das Wirken zum Wohle aller Wesen. In den Fragen des Engagements gibt es sehr grosse Unterschiede zwischen einzelnen buddhistischen Richtungen. Der Engagierte und der Humanistische Buddhismus sind aus dem grossen Fahrzeug, speziell dem Chan-Buddhismus, entstanden, einer Richtung, welche das aktive Engagement in der Welt befürwortet. So wird gesagt:
Bereits zwischen den beiden engagierten Richtungen bestehen tendenziell gewisse Unterschiede, insofern der (westliche) Engagierte Buddhismus politisch protestierend aktiver ist als der Humanistische Buddhismus, bei dem eher die Tendenz besteht, Machtstrukturen von innen heraus (d.h. durch gute Beziehungen zu Machthabenden) zu reformieren und beeinflussen.
Im Theravāda-Buddhismus besteht bei einzelnen Gruppen die Meinung, man sollte sich überhaupt nicht in die Politik einmischen. Ein Unterschied zu westlichen Ansichten besteht in der buddhistischen Sichtweise, dass Nicht-Handeln ein im Buddhismus anerkanntes Verhalten ist, da man dadurch kein Karma schafft. Solche Gruppen bewirkten z.B., dass die Schweizerische Buddhistische Union keine Stellungnahme zur Minarett-Initiative abgab, und sie sehen auch die Mitarbeit bei einem schweizerischen „Ehrenrat der Religionen“ als eher problematisch an. Die Deutsche Buddhistische Union hat eine ablehnende Erklärung zur Genforschung und Biotechnologie abgegeben. Davon haben sich die deutschen Theravāda-Buddhisten distanziert.
Ein wichtiger Aspekt zur Entscheidungsfindung sehe ich z.B. in der Beachtung des 4-fachen Umweltschutzes, wie Meister Sheng Yen ihn vertreten hat:
Nur wenn der letzte Aspekt auch einbezogen wird, was bedeutet, dass man die eigene Motivation immer wieder überprüft (z.B. in der Meditation), wird man seine persönlich richtige Entscheidung treffen können.
Meister Thich Nath Hanh sagt:
“Meditation bedeutet, tief in die Dinge hineinzuschauen, zu sehen, wie wir unsere Situation ändern und transformieren können. Unsere Situation zu transformieren, bedeutet auch, unser Bewusstsein
zu transformieren. Unser Bewusstsein zu transformieren, bedeutet auch, unsere Situation zu transformieren, denn die Situation ist Bewusstsein und Bewusstsein ist die Situation.
Es ist wichtig, dass wir erwachen. Die Natur der Bombe, die Natur des Unrechts, die Natur der Waffen und die Natur unseres eigenen Wesens sind gleich.“
Zum Abschluss eine buddhistische Parabel:
Buddha spricht zu einer Schlange über Gewaltlosigkeit. Daraufhin wehrt sie sich nicht mehr und wird gequält. Nach einem Jahr kommt der Buddha wieder und sieht dies. Er sagt zu ihr: „Ich habe nicht gesagt, dass du nicht zischen sollst.“
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